Fragen Sie meinen Fahrer

Die deutsche Gesellschaft soll einen besonderen Hang zum Neid haben. Sagen gleich zwei Untersuchungen von einem Psychologen und einem Soziologen. Früher war Neid eine Todsünde, heute ist er Alltagsbestandteil. Auch um Dienstwagen und Fahrer wird der deutsche Mensch beneidet. Erst vom Rang eines Stadtoberhauptes oder Bundesministers oder so an, gönnt man dem Mitmenschen Wagen mit Fahrer. Ohne den Kopf zu schütteln. Selbst die, die Selbstzahler von Wagen und Fahrer und Bodyguard sind (Konzernchefs, Stars) werden noch bekopfschüttelt. Egal - ich hatte jetzt einen. Einen Fahrer. Nein, gleich vier. Und obwohl sie mich und unsere Auslandsgäste in Hamburg herumfahren mussten im Rahmen des Fahrdienstes eines Kongresses, sind diese drei in besondere Beziehung zu mir getreten. Und zum Landkreis Uelzen. Und mir ans Herz gewachsen. Denn neben den Fahrten durch Hamburg mit gleich drei Vortragsorten für den Kongress, der sich um Musik und Allerlei drehte, Fahrten zur Musikhalle, Elysee-Hotel und Völkerkundemuseum, fuhren unsere Fahrer ihre Gäste auch sonst wohin. Z.B. mich und den Kollegen Weymann in die Heide, weil wir die Schlüssel unserer eigenen Autos schmerzlich vermissten. Einmal verloren (ich) und einmal im Auto eingeschlossen (Kollege Weymann). Das war so richtig nett und hilfsbereit in wirklicher Not - So wie die freundlichen Herren Fahrer (also keine Herrenfahrer) vom Audi-Fahrdienst auch waren. Im Zivilberuf übrigens Studenten, alle unter der Leitung von Philipp, auch einem Studenten. Jungunternehmer neben dem Studium. Mit Fahrern sich zu unterhalten ist aufschlussreich. So lernte ich, dass Fahrer in Sachen Intimkenntnis gleichrangig mit Sekretärinnen und Therapeuten sind, mit Friseurinnen und Bedienungen hinter Theken, mit Gärtnern und Taxifahrern: Dienstwagen-Fahrer erfahren (buchstäblich er-fahren) mancherlei Aufschlussreiches über den Fahrgast, der als VIP gilt, als very important person. Z.B. wenn ein solcher VIP sich nach dem Abenddinner noch in gewisse Straßen St. Paulis chauffieren lässt. Um sich auch frühmorgens da abholen zu lassen. Mit Wagen und Fahrer... Oder jene Amerikanerin, die sich zwischen Kongressveranstaltungen täglich zweimal zu einer Hamburger Massage-Praxis fahren ließ, weil in der eine berühmte russische Physiotherapeutin eine neue chinesische WS-Massage anbot. WS= Wirbelsäule. Ach ja - beim diskreten Austausch zwischen den Fahrern und mir erfuhr ich keine Namen von Kollegen, die den Fahrdienst für außergewöhnliche Fahrten (miss-)brauchten. Aber ich erfuhr, dass auch mein Berufsstand kein schwarzes Schaf weniger hat als andere. Von mir und meinem ebenfalls vergesslichen Kollegen dürfen unsere Fahrer aber ruhig anderen berichten, wohin sie mich fuhren. Bis auf die Fahrt in die Heide - war das immer nur dienstlich. Jedoch-ohne den Schlüssel aus der Heide wäre ich lebenslang Dienstwagenfahrgast in Hamburg geblieben.

15. Juli 2003